Montag, 04 Mai 2020 13:17

Corona Tracing Apps – eine Stellungnahme

Zusammenfassung: Als Komponente eines umfassenden Konzepts zur Eindämmung der COVID-19 Epidemie kann eine Contact Tracing App einen wichtigen Beitrag leisten. Von besonderer Bedeutung sind technisch sichere Funktionsfähigkeit, Freiwilligkeit und Anonymität der Nutzer*innen. Eine hohe Akzeptanz der App durch die Bürger*innen ist Voraussetzung für einen Erfolg des Konzepts. 
Aktuell wird intensiv über den Einsatz von Apps als ein Instrument bei der Eindämmung der COVID-19 Pandemie diskutiert. Sogenannte Tracing Apps sollen möglichst schnell Kontaktpersonen von positiv Getesteten informieren, sodass diese sich unverzüglich in Quarantäne begeben können. Das ist besonders wichtig, da in dieser sogenannten präsymptomatischen Zeitphase Infizierte ohne Symptome andere Personen weiter infizieren können. Durch eine möglichst frühe Information der Betroffenen wird angestrebt, die Zahl der Kontakte, die zu einer möglichen Weitergabe der Infektion führen, deutlich zu vermindern und so die Dynamik der Ausbreitung des Virus zu verringern. Aufgrund der weiterhin geringen Häufigkeit der SARS-CoV-2 Infektion in der Bevölkerung hat die schnelle Kontaktierung und Isolierung von Infizierten und deren Kontaktpersonen eine große Bedeutung, und Gesundheitsämter benötigen hierbei möglichst effiziente Unterstützung. Derzeitige Pläne für eine Tracing App in Deutschland sehen vor, dass Kontaktpersonen von Infizierten anonym über Bluetooth ermittelt und die Kennung (anonyme ID) ihrer App-Instanz gespeichert wird. Nach letztem Stand soll dabei eine dezentrale Lösung ohne Speicherung der ID auf einem zentralen Server genutzt werden. Mit einer Einführung wird zeitnah gerechnet.

In Singapur wurde schon in einer sehr frühen Phase der COVID-19 Pandemie eine sogenannte Contact Tracing App (TraceTogether) vom Gesundheitsministerium entwickelt und bereitgestellt, die aktuell etwa 1,1 Millionen Nutzer (Stand 26.04.2020, bei ca. 5,7 Millionen Einwohnern) hat. Wenn die App aktiviert ist, werden Smartphone–ID sowie Distanz und Dauer des Kontaktes zwischen verschiedenen Nutzern auf dem Smartphone gespeichert. Infizierte werden bei positivem Test vom Gesundheitsministerium Singapurs kontaktiert und müssen Zugriff auf die gespeicherten IDs geben. Die Smartphone-Nutzer*innen werden dann als Kontakte benachrichtigt. Bluetooth kann diese Kontaktdaten nur von anderen Smartphones im näheren Umfeld aufnehmen. Viele andere Länder, u.a. Indien, Israel und Österreich, haben mittlerweile ähnliche Apps neu entwickelt oder zum Einsatz gebracht bzw. planen dieses.

Technische Details und ihre Umsetzung spielen eine große Rolle bei Fragen der Entwicklung und erwartbaren Akzeptanz solcher Apps. Dabei geht es einerseits darum, wie viele Daten gesammelt und gespeichert werden, andererseits, wer die Datenhoheit hat, ob Quellcodes offen sind und wie sicher die Systeme gegen Angriffe schützen. Es werden dezentrale und zentrale Modelle unterschieden. Die Ansätze unterscheiden sich in Bezug auf die Nutzung zentraler Server und den Grad der Kontrolle über die anonyme Kontakthistorie durch die App-Nutzer*innen. Bei einem zentralen Modell wird die Kontakthistorie auf dem Server ausgewertet, beim dezentralen Modell geschieht dies auf der App. 

Aus Sicht des Leibniz WissenschaftsCampus Digital Public Health Bremen (LWC DiPH) sind folgende Aspekte bei Entwicklung und Einsatz der Contact Tracing Apps in Europa vorrangig zu beachten:

Allgemeines:

  • Contact Tracing Apps können ein wichtiger Baustein für die Bekämpfung einer Pandemie sein; sie ersetzen aber nicht die Einhaltung der notwendigen hygienischen Maßnahmen (Abstand, Handhygiene, Desinfektion etc.).
  • Aufgrund der Besonderheit des Coronavirus kommt der präsymptomatischen Phase eine große Bedeutung zu. Eine frühe Kontaktierung von Kontaktpersonen in dieser Phase durch effektives Contact Tracing hat erhebliches Potenzial, die Eindämmung der Epidemie zu unterstützen.
  • Es wäre nicht hilfreich, wenn parallel eine Vielzahl verschiedener Contact Tracing Apps bereitgestellt würde (Ausnahme: Sie sind alle interoperabel). Es wird eine Lösung benötigt, die kompatibel mit anderen Ansätzen innerhalb Europas und idealerweise weltweit ist. 

Akzeptanz, Freiwilligkeit:

  • Die Nutzung einer funktionierenden App müsste von einem großen Anteil aller Smartphone-Nutzer*innen angenommen werden, damit deutliche Effekte auf die Ausbreitung des Virus erreichbar sind (vermutlich mind. 60-70% Beteiligung). Erkenntnisse der Gesundheitspsychologie sowie der Technikakzeptanzforschung sollten zur Erreichung dieses Ziels genutzt werden.
  • Freiwilligkeit bei der Nutzung der App ist eine wesentliche Grundlage für Vertrauen und Akzeptanz; eine Stigmatisierung von Nicht-Nutzer*innen und eine zunehmende digitale Spaltung müssen verhindert werden. 
  • Neben der Bereitstellung der Contact Tracing App in verschiedenen Sprachen und unter Berücksichtigung von Prinzipien einfacher Sprache, die möglichst breiten Gruppen der Bevölkerung den Zugang und die Nutzung erst ermöglichen können, kommt einer begleitenden Intervention zur Erhöhung der Nutzung unter Berücksichtigung von Prinzipien der Verhaltensänderung eine wichtige Rolle zu – nur wenn die App richtig benutzt wird, kann sie ihre Funktion erfüllen.
  • Die Benachrichtigung von per Contact Tracing App identifizierten Kontaktpersonen könnte nicht nur bei Vorliegen eines positiven Tests, sondern auch bei begründeten Verdachtsfällen erfolgen. Voraussetzung hierfür wäre, dass sowohl Verdachtsfälle als auch Kontaktpersonen schnellstmöglich Zugang zur Virustestung bekommen. 
  • Es sollten komplementär zum Contact Tracing auch weitere Funktionen entwickelt werden, die z.B. Personen über Orte mit hohem Infektionsgeschehen informieren. 

Datenschutz und Anonymität:

  • Grundsätzlich sind die gespeicherten ID-Daten der Nahkontakte primär anonym zu speichern, d.h. ein Rückschluss von diesen IDs auf bestimmte Personen darf nicht möglich sein.

Technische Aspekte und Funktionalität:

  • Es muss sichergestellt sein und belegt werden, dass eine Contact Tracing App technisch ihr Ziel der Identifizierung von Nahkontakten überzeugend erreichen kann, d.h. dass die Genauigkeit hoch und die Rate der falsch-positiven Ergebnisse gering sind. 
  • Ein dezentraler Open Source Ansatz hat aus LWC DiPH-Sicht das größte Potenzial, Datensicherheit und Datenschutz zu sichern, Verbesserungen durch Weiterentwicklung der Funktionalität zu ermöglichen und somit Akzeptanz zu erhöhen. 
  • Datensparsamkeit: Es sollten nur die Kontaktdaten für einen festgelegten Zeitraum (z.B. 14 Tage) gespeichert werden. Nutzer*innen sollten in der Lage sein, ihre Daten einzusehen. Weitere Informationen (Ort, Geschlecht, Alter usw.) dürfen nicht erhoben werden. Für das vorgesehene Ziel der Kontaktnachverfolgung durch die App entspricht diese Datenminimierung der Anforderung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Eine freiwillige anonyme Bereitstellung weiterer Daten für epidemiologische Forschungszwecke (Datenspende) könnte als getrennte Funktionalität an die App angedockt oder gesondert angeboten werden. Dies bedarf jedoch weiterer Prüfung unter Datenschutz- und Akzeptanzgesichtspunkten. Die eigentliche Contact Tracing App sollte jedoch ausschließlich die Tracing-Funktionalität beinhalten, um Bedenken von Nutzer*innen auszuräumen.
  • Zeitliche Befristung: Es muss vorab ein fester Zeitraum für die Nutzung festgelegt werden – Contact Tracing darf nur in Ausnahmefällen während einer Pandemie genutzt werden. 

Der LWC DiPH weist auf die besondere Pandemie-Situation hin. Eine gut funktionierende Contact Tracing App mit anonymer Speicherung der Kontakthistorie ist als wichtige Komponente bei der Eindämmung der Pandemie anzusehen. Bürgerinnen und Bürger können hierzu durch Nutzung einer solchen App beitragen. Es gilt, den notwendigen Datenschutz und die Datensicherheit mit der besonderen Situation und ihren Anforderungen in Einklang zu bringen. 

 Die Stellungnahme können Sie hier herunterladen. 

Wissenschaftler*innen des LWC DiPH sind an der Arbeit des Kompetenznetz Public Health zu COVID-19 beteiligt. Das Kompetenznetz erarbeitet derzeit ein Fact Sheet mit weiteren Informationen und Anforderungen an Contact Tracing und andere Corona Apps aus interdisziplinärer Public Health Sicht. Dies wird Anfang Mai 2020 unter www.public-health-covid19.de bereitgestellt. 

Sprecher

Prof. Dr. Hajo Zeeb
E-Mail: zeeb(at)leibniz-bips.de
Tel: +49 421 21856902
Fax: +49 421 21856941

 

Kontakt

Dr. Moritz Jöst
E-Mail: joest(at)leibniz-bips.de
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Presse

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